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Japanische Teezeremonie – Revolution!


Haben Sie mal an einer japanischen Teezeremonie teilgenommen oder eine (z.B. auf Youtube) gesehen? Wenn man einmal dahinter schaut, wie fremdartig die Teezubereitung ist, wird einem schnell klar, wie unheimlich formell die Zeremonie ist. Einmal habe ich an einer Teezeremonie teilgenommen, wo sich der Gastgeber vielmals dafür entschuldigte, dass er uns bewirtete, obwohl seine Ausbildung noch so unvollständig sei – er hat erst 5 Jahre Vollzeit-Training hinter sich. Bei mir ist das formelle Training noch viel kürzer ausgefallen – deshalb traue ich mich nur, die simpelste Form der Zubereitung interessierten Gästen anzubieten (für die Profis: Bonryaku Temae der Urasenke Schule). Dafür habe ich mir eine Checkliste geschrieben, um alle Schritte vom Betreten bis zum Verlassen des Teeraums zu üben: das sind 72 Unterpunkte.

Der Geist der Befreiung

Klingt das für Sie formalistisch und abschreckend? Das ist enorm schade, denn der Geist, in dem die japanische Teezeremonie vor über 400 Jahren geprägt wurde, war ein Geist der Befreiung – ein Abschütteln formeller Protzerei und eine bewusste Hinwendung zum Schlichten, Ursprünglichen. Wie kann aus einer Revolution der Teebefreiung so etwas Formelles wie das heutige jahrelange Studium geworden sein? Schenken Sie sich einen frischen Tee ein und kommen Sie mit ins Japan des 16. Jahrhunderts:

Bürgerkrieg tobt – seit Generationen kennen die Menschen keinen stabilen Frieden. Während auf den Schlachtfeldern die Waffen sprechen, laden die Fürsten ihre Widersacher zu Banketten ein, wo man mit Protz und Prunk den „Gast“ (=Gegner) zu übertrumpfen versucht. Zu diesem Geprotze gehört es auch, möglichst exklusiven Tee mit unfassbar kostspieligen Utensilien (teuerste Importe aus China) zuzubereiten und in einem Ambiente aus grellen Farben, glänzenden Lacken und Blattgold zu servieren.

Aber war Tee nicht das Getränk, das die buddhistischen Mönche nach Japan gebracht hatten? Mönche, die der Welt entsagt hatten und in Schlichtheit leben wollten? Ja, es gab die Kloster-Komplexe, die sich aktiv in die Politik einmischten – aber es gab auch die Mönche, die wirklich nach Schlichtheit, Ruhe und Frieden strebten. Diesen Protagonisten von Schlichtheit und Stille passte der „fürstliche Tee“ so gar nicht. Besonders zu nennen sind hier Murata Jukô, dessen Schüler Takeno Jôô und schließlich als dritter in der Lehrer-Schüler-Kette: Sen no Rikyû. Diese Drei waren es, die dem „Fürstentee“ richtig Kontra boten und die Ideale von Harmonie, Respekt, Reinheit und stiller Schlichtheit auf den Tee anwendeten. Ganz bewusst einfache, natürlich wirkende Utensilien zu verwenden, war eine Revolution. Statt Blattgold und Malereien an den Wänden gab es natürlich gewachsene Hölzer und nur eine Kalligraphie als Schmuck. Die teure Import-Teeschale war verpönt – derbe Keramik mit natürlich entstandener Asymmetrie war angesagt. Es war eine befreiende Revolution, die durch die Teewelt Japans ging. Nun konnten auch die Kaufleute (in der damaligen Japanischen Gesellschaftsstruktur die Klasse mit dem geringsten Ansehen) sich zum Tee treffen – sogar mit Adligen (sofern sie fortschrittlich waren).

Die Entstehung der Teeschulen

Sen no Rikyû war von den drei Teerevolutionären derjenige, der am langfristigsten wirkte. Seine Nachfahren gründeten Teeschulen, die bis heute in Japan tonangebend sind. Aber diese Teeschulen sahen sich nach dem Ende des japanischen Bürgerkriegs in einer völlig veränderten Situation. Das Tokugawa-Shogunat, welches von 1603 bis 1868 Japan regierte, bildete einen Spitzel- und Polizeistaat. Darunter waren ungeregelte Zusammenkünfte zum Teetrinken höchst verdächtig – was heckten die Teeschüler dort aus? Also wurden die Teeschulen extrem durchreglementiert. Die Lehrpläne mussten abgesegnet werden. Wenn sich die Mitglieder einer Teeschule über Details uneins waren und neue Schulen abspalteten, musste vor den Behörden genau dargelegt werden, wie gravierend die Unterschiede in den Abläufen der Teezeremonie waren.

Das Elitäre hält Einzug

So wurde mit der Zeit aus einem Geist der Befreiung eine Regelflut, der sich nur widmen konnte, wer sich viel Freizeit leisten konnte. Aus den Teeschulen wurden elitäre Klubs – und das Elitäre zeigte sich auch darin, dass die Teeschalen zwar schlicht, naturverbunden und asymmetrisch aussahen … aber von berühmten Keramikkünstlern kamen und das Vielfache eines Monatsgehalts kosteten. Was die drei großen Teerevolutionäre davon wohl halten mögen? Ich will nicht verdammen, wie die Teezeremonie heutzutage gelehrt wird. Durch die strengen Regeln werden Traditionen bewahrt und weitergegeben. Auch kann es eine ungemeine innere Befreiung auslösen, wenn man sich ganz einem vorgegebenen Ablauf anvertraut.

Ichigo, ichie

Aber wollen wir nicht auch einmal wieder auf den Geist von Takeno Jôô anstoßen mit einem schönen Tee – einfach zubereitet in einer Müslischale, weil die gerade zur Hand ist? Probieren wir einfach mal aus, wie es ist, einen Tee mit der linken Hand aufzuschlagen statt mit der rechten. Das geht gegen alles, was man im Teeunterricht lernt. Aber dieses bewusste Erleben, wirklich in diesem Moment wahrzunehmen, wie es sich anfühlt … das ist das bewusste Erleben des gegenwärtigen Augenblicks, wie es die mönchischen Väter der Teezeremonie lehrten: Ichigo, ichie – „ein Moment, eine Zusammenkunft“ – also die Einmaligkeit jedes Augenblicks nicht zu verschlafen.

Autor: Gero Hartwig, Tee-Sommelier und Japan-Experte.
Schon in frühen Jahren zog es ihn in die weite, unergründlich scheinende Welt des Tees. Ihr ist er bis heute treu geblieben und gibt sein umfangreiches Fachwissen besonders gerne in Teeseminaren wortgewandt mit stets humorvollem Unterton weiter.

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